Lasst uns über Geld reden!
Blogbeitrag von Holger Kreft, 12. Mai 2022
Die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen, die extreme Ungleichheit zwischen erschütterndem Mangel und unerträglichem Reichtum sowie Kämpfe und Kriege beschäftigen mich sehr. Auf der Suche nach Lösungen bin auch ich immer mehr dazu gekommen, dass unsere Art zu wirtschaften und unser Umgang unter uns Menschen – und auch wie wir als Einzelne mit uns selbst verbunden sind – sehr viel damit zu tun haben.
Unser Geld spielt für mich dabei eine Schlüsselrolle. Für mich drückt es aus, wie wir mit unserer Mitwelt umgehen. Zugleich stützt das Geld unsere bestehende Haltung gegenüber dieser Mitwelt. In den Medien ist ständig von Preisen und Geldbudgets die Rede. Angesichts seiner immensen Bedeutung, die wir ihm gegeben haben, wird Geld jedoch nicht mit ausreichender Offenheit, Klarheit und Tiefe behandelt. Sein Wesen und seine Funkionsweise sind immer noch zu wenig Thema in unseren privaten und öffentlichen Gesprächen – „über Geld spricht man nicht,“ heißt es noch zu oft.
Zugegeben, aus verschiedenen Gründen ist es ein schwieriges Thema, auch weil das Geld selbst eine Mischung aus privatem und Gemeingut darstellt. Unsere individuellen Projektionen (was wir glorifizierend oder dämonisierend im Geld sehen) beeinflussen die über die Jahrhunderte entstandene Konstruktion des Geldwesens (wie es aufgebaut ist) – und umgekehrt. Und es ist immer mit Ausschluss, Be- und Abwertung verbunden und dadurch meist mit (unbewusster) Scham, mit Schuld und Schmerz behaftet.
Je mehr ich Geld- und Währungsexperimente wie bspw. das „Wunder von Wörgl“ wahrnahm desto deutlicher wurde mir, dass wir unser Geld selbst gestalten können, so wie wir es brauchen und wie es gut für unsere Gesellschaft und unseren Planeten wäre.
Dieser Blick auf Potenziale und positive Ansatzpunkte leitet mich seit über 15 Jahren. Er bewegt mich auch, wenn ich immer wieder an Initiativen mitwirke, die das Geld verändern wollen. Seit August 2021 wachse ich nun – meist durch digitale Treffen – in den DialogRaumGeld hinein. Ich schätze sehr dessen umfassenden Ansatz. Unterschiedliche Reformansätze finden sich dort „unter einem Dach“. Ausgehend vom betrachteten Gegenstand Geld würde ich die wie folgt skizzieren:
- „Geld anders betrachten“: Wie blicken wir auf das Geld? Was glauben wir in ihm zu sehen? Segensbringer oder Teufelszeug? Das und alles mögliche dazwischen und noch Anderes projizieren wir dort hinein, abhängig von unseren persönlichen Erfahrungen, die wir seit unserer Kindheit damit gemacht haben. Wir können und sollten uns dessen bewusster werden. Schon lange stehen Methoden dafür zur Verfügung.
- „Geld besser lenken“: Ein nachhaltigerer Umgang mit dem vorhandenen Geld wird gesucht! Eine Bezeichnung für diese Ausrichtung ist Sustainable Finance. Divestment-Initiativen gehören dazu wie auch die Geschäftsmodelle der Ethik-Banken. Die angemessene Berücksichtigung, am besten Einpreisung ansonsten extern bleibender Kosten ist eine der wesentlichen Voraussetzungen. Das wiederum erfordert eine möglichst weitgehende Monetarisierung der bedrohten ökologischen, sozialen und kulturellen Werte und der drohenden Wertverluste.
- „Ein besseres Geld entwickeln“: Eine andere Richtung stellt die Konstruktion unseres jetzigen Geldes grundsätzlich in Frage. Wie wird es geschöpft, wer schöpft es und wer entscheidet darüber? Wie viel Materialität etwa in Form von Scheinen und Münzen ist notwendig oder sinnvoll? Inwieweit soll es möglich sein mit vorhandenem Geld noch mehr Geld zu erzeugen? Mit welcher Bedeutung wird Geld bereits beim In-die-Welt-Setzen aufgeladen, wodurch es dann letztlich gedeckt wird? In welche Werte bzw. Antriebskräfte vertrauen wir dabei, etwa in den Wachstumsimpuls wie bei der gängigen Kreditgeldschöpfung?
- „Weniger geldförmig denken und handeln“: In fast allen Bereichen unseres täglichen Lebens bis ins sehr Private hinein praktizieren wir inzwischen eine unmittelbare Gegenseitigkeit (Reziprozität) unseres Gebens und Nehmens. Es gilt dabei: „Gebe ich dir XY, dann solltest du mir direkt dafür YZ geben“. Geld hilft mir das scheinbar ganz genau zu kalkulieren. Oder reicht es mir stattdessen, dass ich den Gegenwert für das Gegebene irgendwann viel später bekomme, vielleicht sogar von einem anderen Menschen? Oder fühle ich mich stattdessen so gut abgesichert, dass ich gar keinen Gegenwert benötige und es mir nur darum geht, einen Beitrag zu einem größeren Ganzen zu leisten, mit dem ich mich verbunden fühle und bei dem ich mir sicher bin, dass es mich trägt?
Welcher Impulse bedarf es, dass ich ernsthaft gerade diese letzte Frage anstellen und vielleicht auch umsetzen kann? Wie müsste ich mich, wie müsste sich dazu unsere Gesellschaft ändern? Oder wie müsste ich mich verändern lassen? Inwieweit nehme ich überhaupt die geldbedingten Probleme wahr, vielleicht sogar die Verletzungen, die durch Geld bzw. das dazu gehörige „geldförmige“ Denken und Handeln verursacht worden sind und weiterhin werden? Echte Transformation bedeutet für mich immer auch, dass ich selbst nicht unverändert aus dem Prozess herausgehen kann. Es wird mich verwandeln (müssen). Das sind Überlegungen, die ich im Dialograum Geld mit anderen Menschen austauschen kann.
Und was wäre, wenn diese unterschiedlichen, hier skizzierten Ansätze gut zusammenwirken könnten, um die festgestellten und auch selbst erlebten Überforderungen möglichst zu beseitigen?
Viele Initiativen, die etwas verändern wollen, scheitern jedoch leider an dem Druck, der durch genau die Überforderungen entsteht, die sie ja beseitigen wollen. Ein nahezu zirkuläres Verhältnis, dem wir wohl nur durch Wahrnehmen, Erspüren und Erkennen, durch gemeinsames Ausprobieren, Einüben und Weiterentwickeln entkommen können, um in die neue Welt, die wir uns wünschen, immer weiter hineinzuevolvieren…
Lasst uns also damit anfangen, indem wir mehr und offener über Geld reden!