Labyrinth Finanzwelt

Was ich im Labyrinth gelernt habe.
Ariadnefäden für die Geld- und Finanzwelt

Blogbeitrag von Bernd Villhauer, 29. August 2023

Am Labyrinth können wir viele der Eigenschaften des Finanzsystems erklären.

Wir denken in Bildern und Geschichten. Auch wenn wir uns mit dem Geld oder der Finanzwelt beschäftigen, werden wir von den anschaulichen Darstellungen, ästhetischen und dramatischen Zuspitzungen gelenkt. In der Wirtschaftswissenschaft begegnen uns dann der Finanzfluss, das Gleichgewicht der Waage, der volkswirtschaftliche Körper, in dem das Geld als Blut arbeitet, die Fieberkurve des DAX und vieles mehr.

Ein besonders mächtiges Bild, über das ich heute nachdenken will, ist das LABYRINTH. An ihm können wir viele der Eigenschaften des Finanzsystems erklären und ins Bild bringen, die Entscheidungssituationen und Orientierungsprobleme im Börsengeschehen verdeutlichen – sowohl die Anforderungen an die Einzelnen, als auch die Struktur des Gesamtsystems betreffend.

Aber was sind eigentlich Labyrinthe? Das Labyrinth ist eines der großen alten Geheimnisse der Menschheit. Schon die Herkunft des Namens ist nicht klar, auch die ersten Formen und Verwendungszwecke sind in das Dunkel früher Geschichte gehüllt. Warum führen Gänge in den Pyramiden in die Irre? Gab es den Palast auf Kreta, in dem der Minotaurus Menschen durch das Labyrinth jagte? Jedenfalls verstehen wir unter einer labyrinthischen Anlage ein kompliziertes System von Wegen – manchmal mit Abzweigungen, manchmal ohne, zwei- oder dreidimensional und in verschiedensten Arten ausgeführt: als Gebäude, als Spielzeug, als Kunstwerk, als Garten, in Eis, Stein und Holz.

Dargestellt sehen wir es meist in der Draufsicht. Wenn wir uns allerdings darin befinden, dann sieht alles ganz anders aus. Ein Grundthema ist also das der Orientierung und der Perspektive – das Labyrinth als Verwirrspiel und Erkenntnismittel. Wer sich darin befindet, steht dauernd vor Wänden, muss Entscheidungen treffen, die sich erst beim Weitergehen als gut oder schlecht erweisen. Oft zeigt sich nach langer Zeit, ob und warum eine Entscheidung falsch oder richtig war. Und nur die Kombination aus Innen- und Außensicht führt zum Ziel!

In einem der großen Klassiker der Börsenliteratur, dem 1688 erschienenen „Confusión de confusiones“ (Verwirrung der Verwirrungen), vergleicht der Autor Joseph de la Vega das Treiben an der Börse mit einem labyrinthischen Irrgarten. Und es ist gerade das Entscheidungsdilemma, die allgemeine Undurchsichtigkeit und Unübersichtlichkeit, die ihn bei der Darstellung der Amsterdamer Börse an ein Irrwegesystem denken lassen. Wir wissen nie ganz sicher, ob der Verkauf oder Kauf eines Papiers richtig ist. Die Zukunft ist immer ungewiss, klar ist nur, dass es selten rational zugeht – und dass die „Kenner“ zum Teil nur Scharlatane sind, Führer durch das Labyrinth, die dann irgendwann in einer Geheimtür verschwinden, manchmal eingestehen müssen, dass sie sich auch nicht mehr auskennen oder sich sogar als Minotaurus offenbaren.

Joseph de la Vegas Buch zeigt die Situation an einer historischen Umbruchgrenze. Zuerst in den italienischen Handelsrepubliken, aber dann vor allem von Holland aus wird die Welt in dieser Zeit finanziell neu vermessen. Zahlreiche Finanzprodukte und -dienstleistungen erscheinen zum ersten Mal; und das alles ist für die Menschen der Zeit in höchstem Maße verwirrend. So verwundert es nicht, dass zeitgleich Gartenlabyrinthe und Irrgärten entstehen. Es ist faszinierend, die Herausbildung eines globalen Aktienmarkts im 16. Jahrhundert, die ersten Börsen (Warenbörsen, Finanzbörsen) zwischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert mit den Gartenlabyrinthen in Beziehung zu setzen: in Italien beim Palazzo del Te, 1530, in Aglié, Collodi oder Caravino, in Amsterdam und in England: mit der berühmten Anlage in Hampton Court ab ca. 1700.

Das Labyrinth entsprich einfach dem neuen Bewusstsein von hoher Komplexität und Undurchschaubarkeit bei schwierigen Entscheidungssituationen. Doch es gibt im klassischen Labyrinth oft ein geheimes, gut verstecktes und nur mit großem Mühen zu erreichendes Zentrum, die rettende Mitte. Im christlichen Labyrinth, das die Folgerichtigkeit des Pilgerwegs zum Thema hatte, war hier die Gegenwart Gottes zu finden, der Blick auf die Makellosigkeit einer jenseitigen Existenz. Der barocke Gartentraum bot eher einen Erfrischungspavillon und möglicherweise die Gegenwart aufgeschlossener Gärtnerinnen oder motivierter Schäfer. Im modernen Labyrinth finden wir heute einen Übersichtsplan sowie gartenpädagogische Ermahnungen oder einen Dank an die Sponsoren in Messing.


Autor: Dr. Bernd Villhauer,
Geschäftsführer Weltethos-Institut

Aber es gibt dieses Zentrum, was immer dort sein mag – und wir können hingelangen, wenn wir Innen- und Außensicht verbinden. Vielleicht geht uns bei dieser Bemühung auf, wie ein Labyrinth eigentlich konstruiert wird, was seine Erschaffer zunächst vor sich hatten: diese Mitte, um die herum sie die Leere mit komplexen Mustern und verwirrenden Wegen füllten. Denken wir das Labyrinth Finanzmarkt doch einmal von dieser unsichtbaren Mitte aus, dem Eldorado des Irrlaufs und der Orientierungssuche. Was ist im Zentrum des Geldwirbels?