Wehrlos der Stille aussetzen

Wehrlos der Stille aussetzen
– ein Bewusstseins-Impuls

Blogbeitrag von Andreas F. Philipp, zur Transformationskraft der Stille …
mit tiefem Dank an Sonja-Maria Schade und Martin Coordes, 12. Juli 2022

Foto: Andreas F. Philipp

„Wer sich auf die Stille einlässt, mit dem geschieht etwas.
Die Stille verändert uns, sie eint und heilt.“
(Willigis Jäger, Benediktiner Mönch und ZEN-Meister, Gründer Benediktushof
)

Wir leben in einer Zeit, in der viele alles haben. … was meist fehlt, ist Zeit, … Stille, … (innerer) Frieden. Wir leben in einer Zeit, in der uns unser Intellekt und scharfer Verstand die Lösung fast jedes Problems möglich macht. … was uns häufig fehlt, sind Lösungen, die aus einem anderen geistigen Bewusstsein entspringen … einem Bewusstsein tiefen inneren Friedens, bedingungsloser Absichtslosigkeit, echter Verbundenheit.

Mit dem „Raum der Stille“ am DialogRaumGeld Konvent vom 22.-24. Mai 2022 in Augsburg, haben wir versucht, einen Ort zu kreieren, an dem die Konvent-Teilnehmer*innen während des gesamten Konvents immer wieder in diesen tiefen inneren Frieden kommen konnten. … Ein Friede, der ihren Geist und Körper so zur Ruhe kommen ließ, dass sich ihr Bewusstsein weiten, ihre Seele strahlen durfte.
Im Raum der Stille durftest Du ganz Du Sein … Diese Erfahrung heilt … bis in die tiefste Zelle.

Warum Stille? … Worum ging es?

Im konkreten Tun ging es hauptsächlich um Sitzen und Schweigen, … den Atem ein und aus gehen lassen, wie er kommt und geht, … nichts hinzufügen, … Geist und Körper beruhigen, … Meditation. Eine ganz einfache Übung … für Viele jedoch erst einmal gar nicht so leicht.
Gedanken kommen, es gibt den Drang sich zu bewegen, was Sinnvolles zu tun … es gibt doch immer so viel zu tun … so viel Spannendes bietet der Konvent – was könnte ich versäumen?

Durch das meditative Sitzen in der Stille, in Gemeinschaft – das Ankommen in der eigenen Mitte – beruhigt sich nach einer gewissen Zeit der Geist. Aus dieser Stille heraus findet man oft neue Kraft. Es kommen vergessene, durch Stress und Hektik verschüttete eigene Qualitäten zum Vorschein. Ungeklärte Fragen klären sich.

Wer etwas länger in der Stille ankommt, spürt, dass es noch tiefer geht, … dass da etwas ganz Wesentliches angerührt wird, etwas, was man nicht mit dem Verstand greifen oder beschreiben kann. Wenn man es beschreiben will, ist es schon nicht mehr das Erlebte. Es ist etwas, was einen immer wieder zum Sitzen in der Stille zurückkommen lässt, weil es guttut, … weil es einen in eine Tiefe führt, die man mit keiner „Methode“ erreichen kann.

Diese mit Worten nicht beschreibbaren Erfahrungen haben viele von uns schon einmal gehabt – in der Stille des Waldes oder einer Kapelle oder Kirche, wo man ganz allein war … und auf einmal eine andere Wahrnehmung zugegen war, die etwas ganz Wesentliches in mir anrührt. … nach der ich mich immer wieder sehne. Der Gründervater der Humanistischen Psychologie, Abraham Harold Maslow, hat diese Erfahrung, Gipfelmoment genannt.

Dies kann mir geschehen, aber ich kann es nicht machen. Die Bedingungen dafür – Stille, Bewegungslosigkeit des Körpers, Ruhe des Geistes – sind jedoch kreierbar. Daher nur Sitzen und Schweigen … die Stille in sich ent-stehen und er-wachsen lassen.

Das haben wir im Raum der Stille versucht, zu ermöglichen.

Während der gesamten Tagung (ca. 24 Stunden) saßen Menschen in der Stille und beruhigten ihren Geist und Körper. In regelmäßigen Abständen fokussierten kurze „Mantren | Gebete“ die Aufmerksamkeit der nächsten Stille-Phase [z.B. Du in mir … ich in Dir] und gaben geistige Friedens-Impulse in den Konvent. Zwischendrin praktizierten wir bewusstes Gehen in Stille … entspannten Geist und Körper in achtsamer Bewegung.
DU konntest jederzeit in Stille mit dazukommen. … und in Stille wieder gehen – so, wie es für Dich passend war.

Dag Hammarskjöld, zweiter Generalsekretär der UNO und Friedensnobelpreis-Träger, war einer der ersten, der in der westlichen Welt die Kraft der Stille als Friedensinstrument etablierte.

„Mitten im Gelärm das innere Schweigen bewahren“, war ein Leitwort von ihm. … diese Form der „meditatio“, des absichtslosen Nachsinnens und dabei immer mehr in die eigene Mitte Kommens, haben wir im Raum der Stille versucht zu ermöglichen.

Foto: Andreas F. Philipp
Foto: Andreas F. Philipp

Raum der Stille und Meditation

Getragen waren wir von einem integralen Meditation-Verständnis, einer inneren Haltung, die nicht eingreift in das was geschieht. Einer Haltung des stillen Geistes (No-mind) … die sich z.B. in der Schule von Sri Ramana Maharshi besonders schön widerspeigelt:

Für viele ist Meditation eine Technik, die zu einer Gewohnheit geworden ist, zu einem bloßen Ritual. Ein Kunststück, mit dem vorübergehend ein relativer Zustand von Stille im Geist erreicht werden kann, aber immer relativ, nie vollständig. Und sobald die Meditationsübung vorbei ist, stellt sich langsam, aber sicher, der alte Zustand wieder ein.

Lehrer sagen: Halte das Denken an. Dann setzt du dich zur Meditation hin und stellst fest: Du kannst deine Gedanken nicht anhalten. Die Geister, die du gerufen hast, wirst du nun nicht mehr los. Gedanken drängen sich dir auf. Sie sind zwanghaft. Sie drehen sich im Kreis – immer etwas anders und doch immer gleich. Diese fixierte Haltung, diese zwanghafte Haltung, in Gedanken zu sein, wird dir schmerzlich bewusst. Und dann beginnt dein Kampf gegen die Gedanken. Als könnte man Gedanken mit Gedanken besiegen. Aber das kannst du nicht – Der Kämpfer selbst ist ja auch nur ein Gedanke!

Wenn du also keinen Erfolg hast, gegen Gedanken zu kämpfen, warum lädst du sie nicht alle ein? Die guten und die schlechten, die angenehmen und unangenehmen. Lade alle Gedanken ein. Erlaube dir, dass du von Gedanken überflutet wirst. Und wenn du dann das Gefühl hast: Oh mein Gott, das sind ja nicht-endende Welten, das sind ja ganze Universen von Gedanken, die dort vorbeiziehen – lass es geschehen. Tue nichts. Sei wach. Sie ziehen vorüber.

Und dann finde den Zwischenraum zwischen den Gedanken. Und entspanne dich in ihn hinein. Erkenntnis geschieht zwischen zwei Gedanken. Erkenntnis geschieht in geistiger Entspannung. Wenn du dich entspannst, werden die Lücken zwischen Gedanken immer größer. Die Wolkendecke reißt auf und eine ganz natürliche Stille des Geistes tritt ein. In dieser Stille öffnet sich der Raum für Realisation von Wirklichkeit.

Es ist nicht so, dass du etwas realisierst, es ist so, dass Realisation in dir geschieht. Sie ist unpersönlich. Das ist Meditation. Sie findet in diesem Moment statt in deiner Begegnung mit dir selbst, ohne zu wissen, wer du bist. In jedem Moment neu.

Diese Momente der „Bedingungslosigkeit“ haben wir im „Raum der Stille“ versucht möglich zu machen. … Und dennoch bleibt die berechtigte Frage …

Nur „Rumsitzen“ … statt was tun?

Nur Sitzen und Schweigen? Aus der Welt zurückziehen? Sich vor den drängenden Problemen der Welt drücken? Die andern die viele Arbeit des Konvents machen lassen und selbst nur still dasitzen!

Kann sich denn irgendetwas zum Guten verändern, wenn ich mich in die Stille zurückziehe?

Ein kurzes Gedanken-Experiment zu Beginn: Stellen wir uns vor, jetzt, in dieser Sekunde, würden alle Handlungen eingestellt und alle Menschen der Erde gingen in die Stille! Was würde geschehen?

Die Übung der Stille ist die Basis – und ist gleichzeitig die Übung des Alltags. Die Erfahrung, die wir im gemeinsamen stillen Sitzen machen, geht weiter im Alltäglichen. Die Übung ist nicht getrennt von Alltag und Tun, die Übung ist der Alltag. Und in jedem Tun können wir diese Stille wiederfinden.

Nicht Wissen, sondern nur Erfahrung kann unser Bewusstsein weiten, kann uns innerlich wachsen und reifer werden lassen. Wenn ich nur davon spreche und es wie „Schul-Wissen“ weitergebe, dass wir von Urbeginn an Erlöste sind, dass es keinen Tod gibt, weil die tiefste und absolute Realität die Ewigkeit im Gegenwarts-Augenblick ist, die nichts mehr mit Zeit oder Raum oder Bedingtheit zu tun hat, dann kann man das diskutieren, kann es anzweifeln, kann es als eine These neben anderen Modellen betrachten.

Aber die eigene Erfahrung, dass wir Erlöste sind, dass es keinen Tod gibt, weil die tiefste und absolute Realität die Ewigkeit im Gegenwarts-Augenblick ist, die nichts mehr mit Zeit oder Raum, mit Bedingtheit zu tun hat, lässt keine Fragen mehr offen und gibt tiefen Frieden. Diese heilend-transformierende Friedens-Erfahrung kommt aus eigenem Erleben aus der Stille heraus.

Und diese Erfahrung kann sich nur einstellen, weil wir alle unserem Wesen nach aus der Realität des von Urbeginn an Erlöstseins kommen – es ist wie ein Wiederfinden dessen, was wir vergessen haben. „Re-ligio“, also „Zurück-Bindung“ an die Ur-Realität, meint dies im besten Sinne.

Und erst aus diesem eigenen tiefen inneren Frieden kann ein echter äußerer Friede kommen. Die ganzen Friedensbemühungen in der Welt bleiben nutzlos und schlagen schnell ins Gegenteil um, weil sie aus Verstandes- und Willensgründen und nicht aus eigener tiefer Erfahrung … aus der Stille … aus erfahrener Liebe … entstehen.

Im „Raum der Stille“ sind viele Tränen geflossen. Menschen haben sich hingeben dürfen. Gleichsam schwang all die drei Tage eine freudige Leichtigkeit durch den Raum … große Liebe zu allen Mitwirkenden des Konvents und darüber hinaus breiteten sich aus.

Diese besondere Erfahrung wünsche ich jedem von uns. In großer Dankbarkeit für die Möglichkeit. … mit besonderem Dank an Sonja-Maria Schade und Martin Coordes – meinen Mit-KreateurInnen und -HüterInnen der Stille.
„Doch mich durchschwebt die Vision von einem Kraftfeld, geschaffen in einem ständigen Jetzt von den vielen, in Wort und Tat ständig Betenden, im heiligen Willen Lebenden.“
(Dag Hammarskjöld)

Foto: Andreas F. Philipp